Islamismus in Marokko oder es rollen hier nur die Pfeifenköpfe
Jetzt bin ich doch glatt gefragt worden, wie gefährlich unsere Marokko-Touren sind in Zeiten des zunehmenden Köpferollens ungläubiger Reisender.
Ich war, um bei den Häupter-Metaphern zu bleiben, von der Frage fast vor den Kopf gestoßen, denn nie kam mir auf meinen bisherigen Marokko-Reisen in den Sinn, als Projektionsfläche islamistischer Feindbildphantasien wahr genommen werden zu können. Viel zu vertraut erschien mir dieses Land, viel zu sicher fühlte ich mich immer, ich traue mich zu sagen: ich fühlte mich geborgen als eines von vielen Mosaiksteinchen des marokkanischen gesellschaftlichen Treibens.
Testhalber aber erlaubte ich mir diesen neuen Gedanken und ließ viele Momente meiner Rifgebirge-Touren im Licht der aktuell diskutierten Islamisierungs-Gefahr Revue passieren. Mordstyp, ich, dachte ich, trekke ich also wie weiland Kara Ben Nemsi durchs wilde Kurdistan, gebe mir mit 8 Brocken Berberarabisch einen Laurence von Arabien-Touch, bedroht von säbelnden Rif-Berbern und kopfgeldjagendenTuaregs; weniger romantisierend sah ich mich kurz als westlichen Abenteurer, der sich - ich komme von der Häupter-Metapher nicht weg - Hals über Kopf in islamistisch geprägtes Outback stürzt und wie durch ein Wunder weder Ersteren angeritzt bekam, geschweige denn Zweiteren verlor.
Ich dachte über meine Erlebnisse in den Städten, in den Dörfern nach, über die Begegnungen mit den Hanfbauern des Rifgebirges; über die Nächte in den Bergen unter freiem Himmel, das Lagerfeuer viel zu auffällig gross; aber auch über die Gespräche mit den Einheimischen, mit den Taxifahrern, den Kellnern, den Bergführern und den Mulitreibern; ich sah in meiner Erinnerung die stolzen und doch verstohlen neugierigen Gesichter der Bergbewohner; die Mienen der Hanfbauer-Familie, bei der wir witterungsbedingt Unterschlupf suchten und uns nach gemeinsamem Abendessen neben mehreren Tonnen (ja, mehrere) getrockneter Marihuanapflanzen unser Nachtlager bauten.
Selten waren die Gesichter mürrisch und ablehnend, meist stolz und zurückhaltend, aber fast immer freundlich, wenn wir den ersten Schritt taten, lächelten und respektvoll grüßten (es kann auch sein, das mein "Salam Aleikum" so unschuldig-komisch klingt wie ein "Servas die Madln" aus Japanermund in der Skihütte, aber der Zweck heiligt ja fast alles). In den Gesprächen erfuhr ich über das einfache Leben der Rifbewohner, über die Wirtschaft mit dem Hanf, über das Alltagsleben ohne Strom, ohne Straßen, weit abseits von allem, was wir üblicherweise Zivilisation nennen. Von einer Bedrohung durch islamistische Aktivisten war nicht nur nichts zu erfahren, meine entsprechenden Fragen wurden belächelt mit dem Hinweis, dass im Rif nicht die Religion das Opium des Volkes sei, sondern einfach und unprätentiös der Hanf selbst.
Marokko ist tatsächlich ein Land im Umbruch, denn König Mohammed VI fährt einen radikalen Westkurs unter monarchischer Flagge; er selbst bleibt dabei oberste religiöse Instanz. Wie sich das vereinen lässt, verstehen nicht nur viele Europäer nicht, aber es klappt soweit recht gut. Kein einziges ernstzunehmendes Zeichen deutet auf eine Islamisierung von Religion, Gesellschaft und Politik. Die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen den Städten, den Bewohnern der grossen Bergzüge und den südlichen Wüstenbewohnern sind immens. Dennoch sind die Menschen frei von massenwahnartigen Orgien religiöser Selbstinszenierung, auch frei von nationalstaatlichen Eifersüchteleien. Warum? Nur der Kif, der ohnehin großteils nur im Norden konsumiert wird, ist es alleine sicher nicht. Marokko liegt am Ende der arabisierten Welt, der islamische Eroberungsfeldzug verlief sich in den Bergen, hinter denen der Ozean eine natürliche Grenze formt, sowohl für Eroberungen als auch für sich ausdehnende Handelsbeziehungen. Die Berge waren lange Zeit autonome Regionen, regiert von Stammeshäuptlingen, die sowohl mit den jeweiligen Dynastien, mit den Arabern als auch mit den europäischen Mächten paktierten. Der Islam kam spät nach Marokko; der entsprechende kulturelle und ethnische Stempel wurde farbloser, je weiter Feuer und Schwert nach Westen rückten.
Natürlich: Marokko ist oft auf eine schwer zu verstehende Weise traditionell. Alleine die Geschlechterrollenverteilung ist für mich unverständlich. Vieles in Marokko lasst sich nicht mit meinen Werten vereinbaren. Doch für diese Erkenntnis brauch ich nur aus meiner österreichischen Haustür rauszugehen und scharf nach rechts zu gucken.
Aber es bewegt sich etwas. Nicht nur imTourismus, nicht nur in den Büros der Verwaltung, sondern, - so selbst beim Einreisen per Yacht erlebt -, als Chef eines mehrköpfigen, sonst männlichen Einwanderungspolizeiteams findet man Frauen. Ich hoffe, ich romantisiere nicht, wenn ich erzähle, dass ich von der souveränen und selbstbewussten vielsprachigen marokkanischen Rezeptionistin meiner Stamm-Marina einigermaßen höflich, aber sehr bestimmt zusammen gesch***en wurde, weil ich meine Crewliste sehr schlampig ausgefüllt hatte. Das ist natürlich nur eine Randnotiz, und in den Bergen Marokkos herrscht diesbezüglich ein anderes Klima, aber selbst dort kann man Gespräche nicht nur mit Männern, sondern ab und an auch mit Frauen anknüpfen, ohne das Gefühl vermittelt zu bekommen, eine blasphemischen Faux-pax zu begangen zu haben.
Kurz, mir scheint, dass sich Marokko sein ganz eigenes Süppchen kocht, das ganz anders schmeckt als arabisierter Eintopf. Ich bin mir sicher, dass auf absehbare Zeit in Marokko einfach kein Bedarf besteht an Feindbildern, dass wenig Sympathie vorhanden ist für pseudo-traditionell-islamische Hierarchien.
In diesem Sinn verzichte ich gerne auf mein versuchtes verwegenes Selbstbild als dauerbedrohter Ungläubiger unter fanatisierten Zivilisationsverweigerern, dafür werde ich mich weiter geborgen fühlen in den gewaltigen Natur- und beeindruckenden Kulturlandschaften und in einer Gesellschaft, die mich wohl weiter mit offenen Armen emfangen wird, wenn ich nur bereit bleiben möchte, mein europäisches kulturelles Erbe nicht als meinen Verdienst, sondern als Geschenk anzusehen und ein bisschen demütig zu sein vor einer Kultur, die mir ein Gefühl von gegenseitigem Vertrauen vermittelt, deren kulturelles Erbe für mich studier-, aber nicht existenziell erlebbar ist und sich Kritik auf Besserwisserei rauslaufen würde, denn um die Welt durch die Augen eines Anderen zu sehen, muss man ihn lieben, statt ihn zu kritisieren.